Als Gegenmodell zum Wohnen in der Agglomeration der Stadt offenbart sich Haus Lindetal als ein Rückzugsort im überschaubaren Kontext der Siedlung auf dem Land. Dem Wunsch vieler Bauherrn nach wohnlicher Behaglichkeit und gärtnersichem Betätigungsdrang nicht mit der Antwort von Geschosswohnung und Kleingarten zu entsprechen ist kein neues Phänomen; hat doch die Flucht auf das Land in den letzten 60 Jahren viele Facetten von Wohnstrukturen hervorgebracht, von Modellen urbaner Zersiedlung bis zum Versuch der Umnutzung bäuerlicher Anwesen. So ist das heutige Bild der ländlichen Hausformenlandschaft geprägt von traditionellen Bauernhöfen, einfachen und sparsamen Gehöften aus der Neubauernzeit, sowie modernen Einfamilienhäusern mit ihren individualisierten Varianten einer industriellen Hausproduktion. Umgeben von dieser Melange positioniert sich Haus Lindetal mit einem traditionellen Brückenschlag. Das Projekt entwickelt seine Identität aus der Gebäudetypologie des niederdeutschen Hallenhauses, welches seit dem 17. Jahrhundert das ländlich-bäuerliche Norddeutschland prägt. Eingepasst in den alten Baumbestand des ehemaligen Dorfkruggehöftes ist der Entwurf ein Appell an Zurückhaltung, Präzision, Eleganz und Rustikalität.
Zentraler und größter Raum ist die zweigeschossige Wohnhalle. Ihre nahezu sakrale Atmosphäre ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Licht, überraschenden Raumdispositionen sowie der Anmut einer zentralen Feuerstelle. Das Gebäude formt sich aus einer Betonbasis heraus, die von der Bodenplatte aufstrebend in Wand- und Treppenelemente übergeht und das Ganze auf selbstverständliche Weise in zwei verschiedene zusammenhängende Bereiche gliedert. Das Tragwerk ist als Holzrahmenwerk aus Kiefer mit einem Schwellenkranz aus Eiche nach strengen handwerklichen Regeln ausgeführt und in sorgfältigem zimmermannsmäßigen Abbund mit eisenfreien Holzverbindungen gefügt. Diese räumlich anspruchsvollen und passgenauen Verbindungsknoten stellen das Herzstück der Konstruktion dar und avancieren durch ihren materialgerechten Kraftanschluss zum konstruktiven Ornament.
Die Kritik des Projektes liegt nicht in seiner offensichtlichen Rückbesinnung zum traditionellen Handwerk und der konsequenten Ablehnung einer maschinellen Produktion von Baustoffen und Elementen. Sein besonderer Focus auf dem handwerklichen Fertigungsprozess positioniert sich durch das Infragestellen der komplexen Materiallogistik des heutigen Bauens. Als Gegenthese zielt das Projekt auf die Logistik der Fertigkeiten und bringt vorzugsweise das Know-how auf die Baustelle. In diesem Sinne wurde für die Dauer des Bauprozesses eine provisorische Bauhütte errichtet, die zugleich als Heim und Arbeitsstätte diente. Ein Abbundplatz und Holzlager auf dem Grundstück ergänzten das Ensemble der temporären Produktionsstätte.
Das obsessive Entwerfen und Bauen mit Holz als lokal verfügbarem Baustoff in Zeiten der Diskussion über die Ressourcen der Architektur ermöglicht dennoch einen Bau von hoher Qualität. In radikaler Konsequenz des Verzichtes auf Plattenwerkstoffe der holzverarbeitenden Industrie formt sich Haus Lindetal aus lokalen Baustoffen der Sägewerke der Umgebung. Ungeachtet des Zeitgeistes vom Konstruieren mit industriell gefertigten Strukturen, liegt der Grundgedanke des Projektes in der Wertschätzung und der ehrlichen Haltung der Konstruktion als Ausdruck und Stolz des wandernden Zimmermannshandwerks.
Von Außen erscheint Haus Lindetal eher als Scheune denn als Wohnhaus und wirkt in seiner Homogenität wie ein monochromer Graphit. Aus dem Zusammenspiel von Architektur und Handwerk ist mit dem Projekt eine Homage an die Fertigkeit des Zimmermanns entstanden, die eine klare Position im Diskurs über die Bewertung von Nachhaltigkeit und Wissenstransfer bezieht. So entwickelt sich Haus Lindetal kraftvoll aus dem Vorhandenen und fügt sich wie ganz selbstverständlich in die ehemalige Lücke der Dorfmitte.