Rifugio "Vittorio Veneto al Sasso Nero", Valle Aurina
Ort__ Das manische Bedürfnis des Menschen über die Berge hinweg zu schauen, das uns beim mühsamen Aufstieg bis zum Gipfel treibt, wird nur selten wirklich mit dem schönsten Blick belohnt. Von ganz oben, wenn alles zu unseren Füßen zu liegen scheint, sehen die Alpenpanoramen irgendwie ähnlich aus und häufig sind es andere Bilder, die uns von einem geglückten Wandertag in Erinnerung bleiben. Wer aber auf dem Weg zum Schwarzenstein über der Geröllhalde hinter der alten Berghütte auf die kleine Anhöhe, die eine natürliche Terrasse vor dem Felsköpfl nach Süden schliesst, gestiegen ist, kann hingegen mit Sicherheit diesen Anblick, der sich dort über dem Trippachsattel unerwartet nach Norden hin öffnet, nie wieder vergessen. Am Sattel verlangsamt der Trippachferner seine abstürzende Bewegung nach Süden und wird zu einer eisigen Ebene zwischen den Bergen. Ein Blick, der eine unendliche Weite verspricht, als ob die Alpen hinter dem Pass nicht mehr abfallen würden. Genau diese Stelle ist als Standort für die Errichtung der neuen Schwarzensteinhütte gewählt worden.
Konzept__ Unser Projekt versucht der "Dramatik" der Landschaft gerecht zu werden, indem es die Bewegung des Berges und die Morphologie des Bodens übernimmt und diese sowohl in der äußeren Form als auch in der inneren Erschließung weiterführt. Zum Tal hin ist es ein eingeschossiger, niedriger Baukörper mit einem ansteigenden Dach, das die steile Neigung der Moränenflanken übernimmt und diese emporsteigt. Vom Gletschersattel aus gesehen hebt sich die Hütte am Rande der Mulde als dreigeschossiger Bau zu den Füßen des Felsköpfls wie ein letzter Haltepunkt bevor das Gelände nach unten, zum Ahrntal hin, „abrutscht".
Im Innern wird die neue Berghütte zu einem optischen Apparat. Sie ist wie ein Beobachtungsturm zwischen den Landschaften, der aber kein allumfassendes Panorama bietet, sondern die vielfältige Bergkulisse, die ihn umgibt, durch eine selektive Wahrnehmung, in einzelne "Bilder" auflöst. Die subjektive Montage der einzelnen Kader in eine kohärente Bildsequenz wird dem Besucher, der durch die Räume der Berghütte wandert, selbst überlassen.
Raumprogramm__ Man begeht die Berghütte vom Westen oder von der lange Terrasse her kommend an der Südfront. Letztere ist ein vom Nordwind geschützter Balkon mit einem weit auskragenden Dach, das die Sonnenstrahlen auffängt und der Terrasse ihre Wärme schenkt. Ein Ort, an dem man sich länger im Freien aufhalten kann, um besinnlich das weite, atemberaubende Alpenpanorama zu erkunden und genießen. Hinter der Terrasse befindet sich der Speiseraum der Berghütte. Die Stube, ganz aus Holz, mit einem "Satteldach", übernimmt einige Merkmale der Hüttentradition, ist aber gleichzeitig ein ganz neuer Raum: Es fehlt nämlich eine Wand - diese ist durch eine Glaswand ersetzt worden und wird so zu einem offenen Schaufenster, das die Landschaft selbst unmittelbar zu einem Teil der Komposition werden lässt. Zwei steile Treppen führen von der Stube direkt zum Dachboden, wo das Schlaflager der Gäste untergebracht ist. Von hier aus werden einige Konventionen der "normalen" Architektur aufgehoben. Wir bewegen uns nicht mehr auf der Horizontalen, sondern auf einer schiefen Ebene. Das Haus selbst wird somit zu einem „Berg“, der bestiegen werden muss. Die Modelle reichen von der Kompaktheit und Innovationsfreude der hochalpinen Pionierbauten bis zur Raumeinteilung in dem Schiff- und Schlafwagenbau.
Die erste Etappe der räumlichen Besteigung ist eine Galerie, die den ganzen Baukörper durchquert und die zwei Erschließungstreppen des Schlaflagers mit dem Gang zum Personalbereich verbindet. Die Galerie dient als Schuhraum und bei Bedarf als Warteraum vor den Sanitäranlagen, sie ist aber auch ein Ort der Begegnung. Hier kreuzen sich die Wege der Alpinisten und eine lange Sitzbank lädt die Wanderer ein, sich miteinander zu unterhalten. Von der Galerie ausgehend erschließen zwei "Himmelsleitern" die Raumzellen. Kein Podest bricht die ansteigende Linie der Treppen, lediglich Oberlichter signalisieren die Eingänge der einzelnen Schlafräume. Die Zellen sind in drei Reihen unterteilt: ein mittlerer Bereich mit zwei Zellen zu je 3er-Kojen und vier beidseitig erschlossenen Räumen mit jeweils 6 Kojen, und zwei seitliche Bereiche mit jeweils fünf Räumen zu je 2er-Kojen. Nach Westen und Osten öffnen sich die Schlafzellen wie kleine Theaterlogen ganz nach außen hin. Im Gegensatz zu dem weiten und tiefen, ununterbrochenen Ausblick in die Bergwelt, den uns die Stube und die Terrassen geboten haben, unterteilen hier die Fenster einzelne Abschnitte der nahe liegenden Berghänge. Somit wird das Gefühl mitten in den Bergen zu sein verstärkt und die Illusion, die wir auf den Terrassen genossen haben, ganz oben angekommen zu sein, in Frage gestellt. Bei offenen Zimmertüren bleibt der Blick von den Treppen aus nach außen hin frei und fast überwältigt von den felsigen Wänden des Schwarzensteins und der westlichen Floitenspitze steigt man weiter nach oben. Am Ende des Ganges öffnet sich wieder die Landschaft. Hoch über dem Gelände, von einem sichereren und warmen Ort aus, können wir im Einklang mit der Natur über den Gletschersattel in die eisige, hellblaue Ferne des Nordens spähen.
Zwischen dem schrägen Gästebereich und dem Erdgeschoss mit Stube, Küche und Technikräumen, befinden sich die Zimmer für den Hüttenwart und sein Personal. Ein Gang verbindet dieses Geschoss direkt mit dem Schlafbereich der Gäste und vereinfacht so den Zimmerdienst. Jedes Personalzimmer besteht aus einem Eingangsbereich mit Garderobe und einem "Hochbett", einem Schlafraum mit Blick auf den Gletscher, der für Diskretion und Ruhe in dem sonst recht regen Berghüttenalltag sorgt.
Das nur von außen her über eine Treppe erschlossene Winterlager befindet sich an der Nordseite. Die gegenüber dem Gelände erhöhte Lage und der Schutz des auskragenden Gebäudes sichern auch im Winter eine einfache Zugänglichkeit des Lagers.