Badehaus mit Swimmingpool
Das Badehaus wird von einem mächtigen Walmdach bekrönt, welches sich über das Gebäudevolumen bis zur Kante des Schwimmbeckens vorschiebt. Darunter finden sich verschiedene Räume, welche ihre über eine ihnen zugeordnete, innere Deckenlandschaft erlangen. Die äussere Dachform und die innere Ausformulierung unterscheiden sich voneinander – der sich aufspannende Zwischenraum birgt eine zeltförmige Schlafkammer.
Für eine Baukunst als Kunst des Bauens von Prof. Dr. Laurent Stalder, ETH Zürich
Wohl keine Bauaufgabe hat sich zur Auseinandersetzung mit der Architektur und ihren Grundlagen seit jeher mehr geeignet als die der primitiven Behausung. Genauso wie die Beschäftigung mit dem Motiv der primitiven Hütte den Anspruch nach Ursprünglichkeit architektonischer Tätigkeit unterstreicht, genauso ist seine Darstellung letztlich nur Abbild zeitgenössischer Fragestellungen. Kein Motiv hat die Architekten mehr dazu veranlasst, hier ihr Verständnis von Architektur, ihres Wesens und ihrer Bedeutung, klarer und unmittelbarer darzustellen. In der Tat handelt es sich in dieser Suche weniger um die archäologisch genaue Erfassung eines „materiellen Vorbilds“, als vielmehr, um die viel grundsätzlichere und kreativere Auseinandersetzung mit einem „mystisch- poetischen, zugleich künstlerischen Motiv“, wie Gottfried Semper in seiner berühmten Textstelle über die Urhütte treffend das Verhältnis zwischen primitiver Laubhütte und seiner Interpretation im
Tempelbau dargelegt hat. Mehr als bei jeder anderen Bauaufgabe ist es hier notwendig, sich den widersprüchlichen Bedingungen architektonischer Schöpfung zu stellen, dem verallgemeinernden und zeitlosen Anspruch theoretischer Auseinandersetzung auf der einen Seite, der Einzigartigkeit und dem dadurch zeitlich Gebundenen des gebauten oder erdachten Modells auf der anderen.
Diesen grundsätzlichen und auch ganzheitlichen Anspruch an die Disziplin haben sich die Architekten Buol & Zünd in ihrem Werk, dem Badehaus in Kesswil, gestellt. Dabei haben sie sich so elementaren Fragen, wie der Ausbildung von Dach und Decke, Pfosten und Mauer, Kamin und Fenster gewidmet, um die architektonische Form über ihren ästhetischen Reiz hinweg nach ihrer Bedeutung zu hinterfragen, neben der Neuigkeit einzelner Materialien oder Konstruktionen auch die Angemessenheit einzelner tradierter Motive zu untersuchen, kurz die Architektur nicht nur nach technischen oder ästhetischen Ergebnissen zu beurteilen, sondern die Disziplin als kulturelle Aufgabe mit ihrer eigenen Gesetzmässigkeit und ihrer sinnstiftenden Geschichtlichkeit zu verstehen. Dabei mussten sie sich, um den heutigen Anforderungen zu genügen, ganz selbstverständlich jener alten und unvermeidbaren Auseinandersetzung zwischen Innovation und Imitation stellen. Dass sich dabei solide architekturhistorische und –theoretische Kenntnisse, von Venturis und Scott Browns semiotischem Ansatz, über Lewerentz‘ Auseinandersetzung mit dem nordischen Archetypus, bis hin zu Sempers Erforschung der Grundelemente architektonischer Tätigkeit, und zeitgenössische Fragestellungen nicht ausschliessen müssen, dass sie im Gegenteil zur Vertiefung schöpferischer Tätigkeit gereichen können, zeigt das Badehaus in eindrücklicher Weise auf.
In der Tat dient das Motiv des Ursprünglichen den beiden Autoren nicht nur dazu, die Bauglieder, Pfosten oder Mauer, Wand und Dach, Kamin und Herd in ihrer Elementarität zu erforschen, sondern über die moralischen Bedingungen funktionaler oder technischer Wahrhaftigkeit, in ihrer architektonischen Sinnfälligkeit von tragen und stützen, decken und schützen, für den Betrachter auch als solche zu erschliessen. In dieser Auseinandersetzung kann sich aber der Umgang mit Architektur weder auf das technisch oder funktional Vollendete beschränken, noch sich – davon getrennt – auf die rein sinnliche Erfahrung einer autonomen künstlerischen Form oder ihrer Oberfläche. Vielmehr muss sie sich, darüber hinaus, dem für den Betrachter massgebenden und vermittelnden Bereich zwischen der Form und ihrer Bedeutung widmen, in der jedes Bauglied über seine Elementarität hinaus im Gesamtgefüge des Bauwerkes vermittelnd wirkt. So wird die Mauer nicht nur den rechnerischen Gesetzen der Konstruktion und der Bauphysik gerecht, sondern auch dem messenden Auge des Betrachters. Sie ist nicht nur mit Brettern verschalter Ständerbau, sondern in Lisene und Wandfüllung unterteilt auch Darstellung der tragenden Struktur, die glaubwürdig zwischen dem schweren Dach und dem festen Sockel vermittelt. Die Wand ist nicht nur thermischer Schutz, sondern noch vielmehr eine zwischen Privatheit und Öffentlichkeit vermittelnde Hülle, die durch den Grad ihrer Transparenz, sei es real als Glasfläche oder symbolisch als Wandfüllung, in unterschiedlichen Abstufungen zwischen Innen und Aussen zu
vermitteln vermag, geschlossen und kompakt bei den Diensträumen, offen und durchsichtig im Essraum. Erst durch die Gestaltung der körperhaften Grenzen, Wand und Decke, kann auch der architektonische Raum seinen eigenständigen Charakter entwickeln und in differenzierter, zum Teil auch ambivalenter Beziehung zum Umraum treten, sei es wie im Essraum durch die hohe Zeltdecke und den festverglasten Eckfenstern gefasst aber zugleich durch die weitaufklappbaren Flügel allseitig zum Garten geöffnet, sei es in der Küche, allseitig geschlossen und lediglich durch ein schmales Langfenster auf das Panorama geöffnet. Die Sinnfälligkeit der Tektonik und die wirkungsästhetische Eigenschaft abstrakter Körper, die Körperlichkeit der Raumgrenzen und deren Auflösung in Licht und Luft werden dabei weniger als Gegensätze auseinandergerissen, als vielmehr als Möglichkeiten aufgefasst. Als gleichwertige, gleichzeitig verfügbare Werkzeuge architektonischer Gestaltung vermögen sie dem hohen Anspruch von Architektur als Kunst des Bauens in ihrer Vielfalt zu genügen.
Doch erst durch seine besondere, die allgemeine Gesetzmässigkeit und Kohärenz der einzelnen Bauglieder hinausreichende, formale Gestaltung – und nicht umgekehrt! –, erreicht das Haus in Kesswil jene notwendige Eigenheit, die Ruskin die Seele des Hauses genannt hat, bei dem das hohe Dach nicht nur Abdeckung gegen die Witterungseinflüsse ist, sondern vor allem Ausdruck von Schutz und Geborgenheit, der Kamin nicht nur Rauchabzug, sondern Ausdruck von Häuslichkeit und Gemütlichkeit, die Form somit nicht nur Resultat konstruktiver oder funktionaler Bedingungen sondern lesbares Zeichen. Und erst durch jene bedeutungsvolle Gestaltung, die bekannte Bilder hervorruft, ohne sie nachzuahmen, wird es Teil einer gewachsenen und immer noch wachsenden, auch durch den kurzfristigen Lifestyle oder den Anspruch nach übergreifender Objektivität, nicht wegzuschaffenden kulturellen Tradition. Genauso wie der technische Fortschritt zweifelsohne neue Möglichkeiten, wie die weite Auskragung des Daches, gestattet, genauso wie zeitgenössische ästhetische Konventionen, wie die Vorliebe für abstrakte Formen, die Gestaltung des Daches als glatte, metallene Fläche erklären, genauso erlaubt der Rückgriff auf einzelne, archetypische und dadurch zeitlose Motive, wie Dach oder Lisene, Ofen oder Sockel die allgemeine Lesbarkeit des Baues. So ist das Dach zugleich künstlerisches Motiv, wie auch balkenfreier, überhöhter Innenraum, der Ofen zugleich Feuerstelle wie auch „Barbecue“. In diesem Zwischenbereich zwischen Erfindung und Nachahmung, in der klaren Unterscheidung zwischen dem Typischen und dem Modellhaften liegt dabei die Herausforderung, welche Buol & Zünd zu meistern wussten.
Bezeichnenderweise liegt die Bedeutung des Baues in Kesswil in der Akzeptanz jener im breitesten Sinne kulturellen Bedingungen des Bauens. Der Frage nach einer vermeintlich notwendingen architektonischen Erfindung, steht hier die nach sachlicher Gestaltung gegenüber, sei es im Rückgriff auf bewährte Konstruktionen, wie Holzbau und Blechfalztechnik, sei es in der Verwendung von Beton- und Glaskonstruktion, sei es im Rückgriff auf tradierte Motive, wie das Walmdach, und seiner gleichzeitigen zeitgenössischen Ausbildung als abstrakter Körper. Dem Anspruch nach Neuem
steht hier ein viel umfassenderer, im besten und reichsten Sinne eklektischer gegenüber, in dem die Geschichte und ihr Formenschatz nicht nur historisch bewertet werden, sondern auch prinzipiell nach ihrem Sinn und ihrer Eignung hinterfragt.
Location: Dozwilerstrasse 7, CH-8593 Kesswil
Design: 2001