Ein neues Gleichgewicht
Wie lässt sich eine freistehende, markante Villa um eine mindestens ebenso grosses Raumprogramm erweitern? Was bedeutet es für den Altbau, wenn er in Zukunft über den Neubau betreten wird? In welcher Beziehung stehen Bestand und Neubau? Bleibt der Altbau das wichtigere Gebäude, dominiert der Neubau?
Sowohl als auch
Angesichts des Raumumfangs des Neubaus und der funktionalen Umdeutung des Bestands wird die Erweiterung des Kunstmuseums Chur zu einer Gratwanderung. Gesucht wird ein diffiziles Gleichgewicht zwischen Ergänzung und Umwidmung. Die bestehende Villa Planta soll ihre prägende Stellung behalten, aber die Erweiterung soll sich eigenständig behaupten und als neuer Eingang lesbar werde. Die räumlichen und funktionalen Defizite von Zugang und Anlieferung sollen gelöst werden, aber der Garten soll in seiner ganzen Präsenz bestehen bleiben. Die Ausstel- lungsräume sollen funktional neuesten Anforderungen genügen, doch im Altbau wird weiterhin in einer Wohn- raumarchitektur ausgestellt. Damit diese Gratwanderung gelingt, treffen wir eine Reihe von ambivalenten Entschei- dungen, die zu einer Architektur des “sowohl als auch” führen.
Altbau und Neubau
Der neue Eingang soll klar ersichtlich sein, gleichzeitig soll sich der Erweiterungsbau zugunsten der Villa Planta zurücknehmen. Der Neubau erreicht diesen Spagat durch seine übereck eingeschnittene Gebäudeform. Seine dramatisch überhöhten Silhouette an der Grabenstrasse zieht die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich und ver- deutlicht, dass es sich nicht nur um einen Zubau sondern um das neue Eingangsgebäude handelt. Die rücksprin- genden Hohlformen der volumetrischen Einschnitte schaffen einen Bezug zum reaktivierten historischen Hauptzu- gang des Grundstücks und laden die Besucher ein, näher zu kommen. Die Offenheit und Öffentlichkeit des gläser- nen Foyers unterstreicht diese Absicht. Gleichzeitig übt sich der Neubau durch seine gestaffelte Form in volumetri- scher Zurückhaltung und vermeidet es, frontale Beziehungen zu seinen Nachbarn aufzubauen. Durch die Verlegung des Haupteingangs in den Neubau und die öffentliche Cafénutzung wird die Gartenanlage neu aktiviert und be- spielt.
Kräftige Räume
Der Neubau versucht der Stringenz der Villa Planta eine Sequenz von kräftigen Räumen zur Seite zu stellen. Das öffentliche Erdgeschoss ist als offenes Foyer konzipiert. Im Sommer weitet sich über die Ecke in den Innenhof. Zwei räumliche Wandelemente zonieren den Grundriss in einen Cafe- und Foyerbereich und einen Shop- und Ticketbe- reich. Die Laterne beim Eingang ermöglicht den Besuchern bereits einen Einblick in den Ausstellungsbereich. Die Wandscheibe hinter der Bar begleitet die in die Ausstellung hinabführende Wendeltreppe und führt so nach unten. Das erste Untergeschoss ist durch tragende Wände in fünf Raumschichten gegliedert. Bestand und Neubau werden über eine grosszügige Blick- und Erschliessungsachse miteinander verbunden. Die Dauerausstellung ist als Enfilade zwischen diese fünf Raumschichten angelegt. Die Wechselausstellung im zweiten Untergeschoss ist hingegen als stützenfreies, offenes Geschoss konzipiert. Durch die freie Stellbarkeit von Wänden ist dieses Geschoss äusserst vielseitig und flexibel bespielbar.
Tragwerkskonzept
Das zweite Untergeschoss wird dank der die kurze Seite überspannenden wandhohen Scheiben im darüberliegen- den ersten Untergeschoss stützenfrei ausgebildet. Die unterirdischen Aussenwände dienen als eingespannter Kasten zusammen mit dem über alle Geschosse gehenden Erschliessungs- und Versorgungskern der Erdbebenaus- steifung. Die Erdgeschossdecke ruht auf zwei Scheiben sowie dem Kern und ist an durchgehenden Wandscheiben der Obergeschosse aufgehängt. So wird ein stützenfreies zum Hof frei öffenbares Erdgeschoss ermöglicht.